1. Einleitung

Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Mittlerweile ist es unbestreitbar, dass der Mensch das Klima der Erde erwärmt hat. Die Erhöhung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre durch menschliche Aktivitäten ist die Haupturasche für den gegenwärtigen globalen Temperaturanstieg (IPCC 2021). Auch das regionale Klima in Deutschland wird dadurch bereits jetzt beeinflusst. Mit zunehmenden Temperaturen steigt unter anderem die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Starkregenereignissen, Überflutungen sowie Dürren und Hitzewellen (Rannow et al. 2010). Um die negativen Auswirkungen des Klimawandels möglichst gering zu halten, kommt dem Klimaschutz (also der Reduzierung von Treibhausgasemissionen) höchste Bedeutung zu. Aufgrund der langen Reaktionszeiten des Klimasystems kann der Klimawandel allerdings nicht kurzfristig aufgehalten, sondern lediglich abgeschwächt werden. Zur Minderung bereits bestehender negativer Auswirkungen des Klimawandels sind deshalb effektive und regional differenzierte Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung notwendig (IPCC 2018, Bapna et al. 2019).

Auch Städte sind immer häufiger von extremen Wetterereignissen betroffen. Solche Klimaextreme verringern die urbane Lebensqualität, verstärken Ungleichheiten und bedrohen die bestehende Infrastruktur (Lin et al. 2021). Im Vergleich zu ländlichen Gebieten weisen Städte deutlich höhere Wachstumsraten der Bevölkerung auf. Im Jahr 2014 lebte bereits über die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Gebieten. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen wird dieser Anteil bis zum Jahr 2050 bis auf 68% ansteigen (United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2019). Durch den Klimawandel und die fortschreitende globale Urbanisierung bekommt also auch das in Städten vorherrschende Klima eine immer wichtigere Bedeutung.

Um die Resilienz der Stadt als wichtigsten menschlichen Lebensraum gegenüber zunehmenden Extremwetterereignissen zu erhöhen und die Hitzebelastung für Bürgerinnen und Bürger abzuschwächen, sind effektive Anpassungsmaßnahmen notwendig. Vor diesem Hintergrund haben urbane Grünflächen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Sie modifizieren das Stadtklima durch verschiedene Ökosystemdienstleistungen. Durch Evaporation und Beschattung können sie dazu beitragen den thermischen Komfort für Menschen auch bei starker Hitze zu verbessern (Demuzere et al. 2014). Außerdem kann Wasser in vegetationsbedeckten Böden besser gespeichert werden als in undurchlässigen städtischen Materialien (Ali-Toudert 2005). Grünflächen sind also in der Lage Wasser zurückzuhalten und als Retentionsflächen zu dienen. Dadurch können insbesondere während Starkregenereignissen die Abflussmengen verringert und die initiale Abflusszeit verzögert werden, was der Vorbeugung von Kanalüberlastungen dienen kann (Berardi et al. 2014).

Der Bedarf für Klimaanpassungsmaßnahmen ist insbesondre in dicht besiedelten und stark verdichteten Gebieten von hoher Bedeutung (Grunwald et al. 2017). Allerdings geht die Implementierung von zusätzlichen Grünflächen oft mit einem hohen Flächenbedarf einher und steht daher in direkter Konkurrenz zu Wohnungsbau und anderen Flächennutzungen (Santamouris 2014). Soll grüne Infrastruktur eine tragende Säule in der nachhaltigen Stadtentwicklung werden, ist eine genaue Kenntnis über das Flächenpotential möglicher zusätzlicher Grünflächen in Städten und Kommunen notwendig.

Allerdings sind die Effekte grüner Infrastruktur innerhalb eines Stadtgebiets sehr heterogen (Shashua-Bar et al. 2010; Erell 2017). Der potenzielle Nutzen von Begrünungsmaßnahmen ist umso größer, je mehr das menschliche Wohlbefinden durch die Auswirkungen von Umweltstressoren (z.B. Hitzebelastung) eingeschränkt ist oder je anfälliger sich die städtische Infrastruktur gegenüber klimawandelbedingten Extremwetterereignissen (Sturzfluten, Starkregenereignisse) zeigt (Grunwald et al. 2017).

Der Nutzen von Begrünungsmaßnahmen ist folglich abhängig von verschiedenen städtischen Merkmalen und Umweltstressoren. Deshalb wird im Folgenden die Entwicklung einer GIS-gestützten Methodik dokumentiert, die zur Erfassung und Bewertung von Potenzialflächen (PF) für nachträgliche Begrünung, sowohl am Boden als auch auf Dächern, dienen soll. Der potenzielle Nutzen von Begrünungsmaßnahmen in bestimmten Gebieten einer Stadt ist umso größer, je mehr das menschliche Wohlbefinden oder die städtische Infrastruktur den Auswirkungen von Umweltstressoren (z. B. erhöhte Wärmebelastung oder Starkregenereignisse) ausgesetzt ist. Die Bewertung der PF erfolgt über eine Kombination des zu erwartenden Nutzens der Begrünungsmaßnahmen hinsichtlich deren Potentials zur Senkung urbaner Hitze, Wasserretentionswirkung und sozialen Faktoren.

2. Untersuchungsgebiet und Datengrundlage

2.1 Untersuchungsgebiet

Naumburg ist eine Stadt im Südwesten des Freistaates Sachsen und umfasst, einschließlich angrenzender Ortsteile, ein Gebiet von 102,11 km2. Innerhalb dieser Fläche leben Menschen 64701 Menschen (Stadt Naumburg 2022a; Stadt Naumburg 2022b). Das Klima Naumburgs weist eine Jahresdurchschnittstemperatur von 8,7°C und einen jährlichen Durchschnittsniederschlag von 599 mm auf. Charakteristisch für das dort herrschende Klima sind vor allem die ganzjährig humiden Monate und die warmen Sommermonate, welche zudem die höchsten Niederschlagswerte aufweisen (Deutscher Wetterdienst 2022). Die Stadt ist historisch gewachsen, weshalb vor allem der Stadtkern eine hohe Bebauungsdichte mit einem großen Anteil an versiegelten Flächen aufweist. Der Anteil an Grünflächen ist im Zentrum der Stadt gering. Allerdings wird die Stadt im Norden und Süden von größeren Waldflächen eingefasst und die Weiße Elster zieht sich als „grünes Band“ vom Südwesten nach Nordosten durch das Stadtgebiet.

2.2 Datengrundlage

Die Erstellung der Potentialanalyse wurde unter Verwendung verschiedener Geodaten in einer GIS-Umgebung (ArcMap Version 10.8, Software ArcGIS, ESRI) durchgeführt. Die Geodaten wurden vom Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen (GeoSN), vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie Sachsen (LfULG) und dem United States Geological Survey (USGS) bezogen. Die Datengrundlage bestand aus:

  1. Digitales Landschaftsmodell: Zur Unterscheidung zwischen verschiedenen Landschaftsnutzungstypen wurde ein digitales Landschaftsmodell (DLM) verwendet (GeoSN 2022a). Das DLM dient zur vektoriellen Beschreibung topographischer Erscheinungsformen wie z.B. Siedlungen, Verkehr, Vegetation oder Gewässer und wurde für das Untersuchungsgebiet im Jahre 2020 zuletzt überarbeitet.
  2. Öffentliche Stadtflächen: Zur Vervollständigung des DLMs konnte auf Rücksprache mit der Stadtverwaltung Naumburg ein Geodatensatz als Shapefile bezogen werden, welcher alle öffentlichen Flächen innerhalb der Kommune enthält. Dadurch konnte die Potentialanalyse auf stadteigene Grundstücke beschränkt werden (Stand: 09.12.2021).
  3. RGBI-Orthofotos: Zur Bestimmung der Vegetationsflächen wurden digitale Orthofotos im Rasterformat mit einer Bodenpixelgröße von 20 cm verwendet (GeoSN 2022b). Die Daten stammen von einer Überfliegung vom 25.06.2019. Digitale Orthofotos sind verzerrungsfreie, maßstabsgetreue Rasterdaten photographischer Abbildungen der Erdoberfläche. Die zugrundeliegenden Orthofotos entstammen einer flächendeckenden Befliegung Sachsen, welche alle zwei Jahre vom Bundesland durchgeführt wird, um eine hohe Aktualität dieser Geobasisdaten zu gewährleisten. Da die Orthofotos neben den drei Farbkanälen im sichtbaren Spektralbereich (Rot, Grün, Blau) auch über einen Farbkanal im nahen Infrarot (NIR) verfügen, war es möglich den Normalized Difference Vegetation Index (NDVI) für das Untersuchungsgebiet zu berechnen und somit näherungsweise die von Vegetation bedeckten Flächen zu bestimmen.
  4. 3D-Stadtmodell: Die Gebäudeumrisse konnten aus einem 3D-Stadtmodell abgeleitet werden (GeoSN 2022a). Ein 3D-Stadtmodell ist ein digitales, numerisches Oberflächenmodell der Erdoberfläche. Hierbei werden raumbezogene Informationen der Gebäude in unterschiedlichen Realisierungsstufen abgeleitet und bereitgestellt. Das 3D-Stadtmodell wurde 2021 erstellt und steht im Detaillierungsgrad LoD2 (Level of Detail 2), also als Modell mit standardisierten Dachformen, für ganz Sachsen als Shape-Datei zur Verfügung (GeoSN 2022c).
  5. Versiegelungskarte: Anhand einer Versiegelungskarte konnte der Versiegelungsgrad für alle Flächen des Untersuchungsgebiets abgeleitet werden. Die Versiegelungsinformationen wurden nach methodischen Auswertungen aus dem ATKIS-Basis-DLM (Landesvermessung, Stand 2018) abgleitet. Im verwendeten Geodatensatz ist der mittlere Versiegelungsgrad für die gesamte Landesfläche Sachsens in einer Auflösung von 25 x 25m im Shape-Format dargestellt (LfULG 2022).
  6. Landsat 8 OLI/TIRS Daten vom 28.06.2020 um 10:34 Uhr (UTC) wurden zur flächendeckenden Berechnung der Oberflächentemperatur verwendet. Das Datum wurde gewählt, da keine Wolken im Satellitenbild vorhanden waren. Die meisten Landsat 8 Bänder haben eine Auflösung von 30m, während die thermisch infraroten Signale eine Auflösung von 100m haben. Basierend auf diesen konnte durch Nutzung des split window Algorithmus Tsfc abgeleitet werden (USGS 2022).

3. Bestandsaufnahme - Grünflächen am Boden

Bereits bestehende Vegetationsflächen sollten in der Potentialanalyse nicht berücksichtigt werden. Diese wurden deshalb mit Hilfe der digitalen RGBI-Orthofotos detektiert. Deren zusätzlicher Bildkanal im nahen Infrarot bietet nicht nur die Möglichkeit, Vegetationsflächen im Luftbild aufgrund ihrer Reflexion im Infrarot-Spektralbereich zu identifizieren, sondern auch ihre Qualität über die Berechnung des NDVI zu bestimmen (Guay et al. 2014): \[ \text{NDVI}=\frac{(\text{NIR}-\text{R})}{(\text{NIR}+\text{R})} \]

Dabei ist NIR der Reflexionswert des Infrarotbandes und R der Reflexionswert des Rotbandes. Der NDVI kann Werte zwischen -1 und 1 annehmen, wobei Werte nahe 1 sehr dichte und vitale Vegetation mit hohem Chlorophyllgehalt widerspiegeln, während Werte gegen 0 nahezu vegetationsfreie oder Flächen mit toter Vegetation und negative Werte vegetationslose Oberflächen repräsentieren (Yengoh et al. 2014).

Um näherungsweise die bereits vorhandene Vegetation zu bestimmen, wurden alle Flächen mit einem NDVI-Wert von > 0,5 als vegetationsbedeckt klassifiziert und von einer zusätzlichen Begrünung ausgeschlossen (vgl. Abb. 1). Hierbei wurde sich an den Grenzwerten von (Shattri Bin Mansor et al. 2013) orientiert, welche dichten und vitalen Vegetationsflächen NDVI-Werte von 0.6 – 1 zuweisen.